Wing Chun Dao

Wing Chun als Innere Kampfkunst!

Was andere noch "entwickeln" wollen, ist bereits fertig...

Wissenschaft im Wing Chun

Wissenschaft im Wing Chun – Die Grundannahmen

„Wing Chun“ ist heutzutage untrennbar mit dem Namen Ip Man´s verbunden, da er derjenige war, der diesen Kung Fu-Stil in Hong Kong als erster öffentlich unterrichtete und der Ruhm Bruce Lee´s auf ihn zurückfiel.

Seit der weltweiten Verbreitung des Wing Chun-Stils gibt es viele unterschiedliche Theorien, Methoden, Unterrichtssysteme, die je nach Schule mehr oder minder umfangreich gestaltet wurden.

Was wir über das Wing Chun Ip Man´s wissen, ist, dass er für die Entwicklung seines Wing Chun-Systems den Anspruch hatte, Wing Chun einfacher und logischer zu gestalten, um es schneller erlernbar zu machen. Was man auch weiß ist, dass er das Wing Chun, welches er von seinen Lehrern Chan Wah Shun und Leung Bik gelernt hat, soweit geändert hat, dass nur noch die uns 6 bekannten Formen übrig geblieben sind. Was wir nicht wissen ist, welche Form er wie in der Reihenfolge geändert hat, und welche Bewegungen aus den Formen gestrichen wurden. Wie die Formen ausgesehen haben, die Ip Man von seinen Lehrern gelernt hat, wissen wir nicht.

Wenn aber der Anspruch der „Wissenschaftlichkeit“ des Wing Chun erhalten bleiben soll, dann muss es möglich sein, die Funktionsweise des Wing Chun in der praktischen Anwendung überprüfbar zu machen.

Die wissenschaftliche Methode für das Wing Chun ist von daher immer empirisch: Der Schüler lernt durch den eigenen Versuch und durch den Vergleich mit den unterschiedlichen Position die für sich beste Bewegung herauszufinden.

Anspruch der „Wissenschaftlichkeit“ ist dabei auch immer die „Überprüfbarkeit des erlangten Wissens“ und die „Reproduzierbarkeit“ der Ergebnisse und gleichbleibenden äußeren Bedingungen.

Die Formen des Ip Man Wing Chun sind einerseits der „äußere Lehrplan“ des Wing Chun, in dem alle Bewegungen des Wing Chun-Systems festgehalten sind und die zunächst einmal gelernt und auswendig gelernt werden müssen.

Die Formen sind aber ebenfalls der „innere Lehrplan“ des Wing Chun, in denen die theoretischen und biomechanischen Prinzipien des Wing Chun-Systems erfahrbar werden. Und diese in den Formen enthaltenen Konzepte machen Wing Chun zu einem einzigartigen Kampfsystem.

Um Wing Chun wissenschaftlich zu erklären müssen die Grundannahmen für die Anwendung von Wing Chun im Zweikampf geklärt werden, unter denen es überhaupt notwendig ist, Wing Chun anzuwenden und unter denen die Besonderheit des Wing Chun-Systems im Unterschied zu anderen Kampfkünsten zum Vorschein kommt.

Die Grundvoraussetzungen für Wing Chun sind:

1. Ip Man Wing Chun funktioniert innerhalb einer sehr viel kürzeren Distanz zum Gegner als viele andere Kampfkunstsysteme. Außerhalb der Reichweite der Arme des Gegners kann Wing Chun gar nicht angewendet werden.

2. Wing Chun ist aufgrund der Anwendung in dieser kurzen Distanz zum Gegner gar nicht dafür entwickelt worden, jemanden als Erstes anzugreifen („proaktive Handlungsweise“)

3. Wing Chun ist entwickelt worden, um sich gegen körperlich stärkere und/oder weitaus größere und schwerere Gegner wehren zu können, von daher muss es eine Methode enthalten, die es ermöglicht, die überlegene Körperkraft eines Angreifers zu kompensieren (Die Kraft des Gegners borgen)

4. Wing Chun berücksichtigt die Tatsache, dass in einer Kampfhandlung ein möglicher Angriff nicht vorhersagbar ist und einzelne Handlungen in einer Selbstverteidigungssituaion nicht planbar sind.

5. Die Genauigkeit der Wing Chun-Positionen in den Formen müssen von daher auf eine größtmögliche biomechanische Stabilität ausgerichtet sein, um in der kurzen Distanz und im Kontakt zum körperlich überlegenen Gegner kinetische Energie aufnehmen und absorbieren zu können, was beinhaltet, dass man „sich die Energie des Gegners zunutze macht.“

6. Um in einer kurzen Distanz in einem Kampf erfolgreich zu sein, muss innerhalb des Systems (in den Formen) die Fähigkeit entwickelt werden, kinetische Energie auf einem möglichst kurzen Weg zu erzeugen.

Die spezielle Kraftentwicklung im Wing Chun-System basiert auf zwei verschiedenen Wegen der Koordination: die intermuskuläre und die intramuskuläre Koordination.

Diese 6 allgemeinen Grundannahmen sind die „Axiome“ des Wing Chun, auf denen man das System als solches beschreiben und weiter analysieren kann. Sind diese Annahmen auch nach der Analyse erfüllt, dann kann man tatsächlich von einem „System“ sprechen.

Diese Voraussetzungen sind notwendige Bedingungen. Notwendig deshalb, weil wenn eine der sechs Bedingungen fehlt, dann braucht man nicht unbedingt ein so spezielles und ausgeklügeltes Kampfkunstsystem wie den Wing Chun-Stil Ip Man´s erlernen, um sich erfolgreich verteidigen zu können. Fehlt einem Kampfstil eine dieser Bedingungen, dann muss der Erfolg einer Technik durch andere Faktoren wie muskuläre Kraft, Schnelligkeit oder Aggressivität kompensiert werden. Diese sind jedoch von kleineren Personen mit weniger Kraft kaum zu realisieren.

Diesen Maßstab für Wing Chun auf der Grundlage der 6 Grundannahmen zu definieren und – vor allem zu unterrichten – ist das Ziel von Ip Man Wing Chun Deutschland. Und dann wird Wing Chun praktische „Wissenschaft“!

Praktische Wissenschaft bedeutet: Wing Chun als rationale, effektive Methode der waffenlosen Selbstverteidigung zu beschreiben und es auf die körperlichen Voraussetzungen eines Menschen, der Wing Chun erlernen möchte, anwendbar zu machen.

Wird dieser Maßstab nicht erfüllt, werden viele der Ungereimtheiten innerhalb der großen Vielfalt der WT-, VT-,WC- Stile durch andere Faktoren wie Kraft und Schnelligkeit kompensiert, wo kleinere und schwächere Personen, meist Frauen und Jugendliche schnell an Ihre Grenzen stoßen.

Die mechanischen Aspekte der Körperhaltung müssen in einem Selbstverteidigungssystem logisch und nachvollziehbar angeordnet sein, damit das Ziel einer effektiven Selbstverteidigungsfähigkeit erreicht werden kann. 

Sifu Horst Drescher M.A.